Freitag, 5. April 2013

Fifty Shades of Shame


Es gibt Augenblicke im Leben, da realisiert man, dass man eine völlig falsche Sichtweise vertreten hat. Vehement und unbeugsam für eine Sache gestritten hat, die ganz einfach nicht korrekt war. Mit Schwert und Schild für die holde Prinzessin in den Kampf zog, und sie stellte sich am Ende als die böse Stiefmutter heraus.

Besonders leicht gerät man in so eine Situation, wenn man sich uninformiert oder kaum im Bilde für eine Sache einsetzt. Oder eben dagegen.
Und besonders peinlich ist es, wenn man dann den Irrtum erkennt und in aller Öffentlichkeit dazu stehen muss.

Ich habe in meinem Leben öfter solche Momente erlebt. Da ich mir schnell eine Meinung bilde und durchaus starrsinnig bin, falle ich damit auch auf die Nase. Und je weiter ich in die Vergangenheit zurückgehe, desto häufiger habe ich Dinge einfach falsch eingeschätzt und diese Fehleinschätzungen dann mit dem Eifer eines heiligen Kriegers vertreten.
Mit dem Alter kam dann die Weisheit. Zumindest ein Stück weit.

Pffrr…
Quatsch. Nicht mal ich bin so eingebildet, ausgerechnet dieser Fehleinschätzung aufzuliegen. ;-D
Trotzdem…

Einen solchen Irrtum will ich heute bekennen. Und mich damit sozusagen selbst der öffentlichen Schande preisgeben.
Nicht ohne Berechnung, denn die Erfahrung zeigt, dass es weniger peinlich ist, wenn man sich selbst bloßstellt. Und dass es auch manchmal als ein Zeichen von Größe gewertet wird.
Aber tatsächlich sind die Motive nicht nur gänzlich eigennütziger Art. Es hat auch etwas damit zu tun, dass ich jemandem Unrecht getan habe und dass ich an Konsequenz glaube. Und daran, dass man die für seine Handlungen und Worte tragen muss.

Um das Ganze nicht unnötig weiter mystisch zu halten, will ich das Kind beim Namen nennen:
Es geht um das Buch Fifty Shades von E. L. James.

Wer mich kennt, kann wissen, dass ich zu den Leuten gehöre, die nicht unbedingt kein gutes Haar daran gelassen haben. Ich war schon von Beginn an nicht unglücklich darüber, dass es eine ‚von uns‘ - eine Erotik-Autorin - ganz an die Spitze der Bestsellerlisten schaffte. Das ebnet den Weg für andere. Und das ist gut so, denn ich bin fest davon überzeugt, dass auch Erotikliteratur gute Literatur sein kann, die sich nicht hinter Thrillern oder Krimis verstecken muss.
Aber ich habe auch offen gesagt, dass ich den Hype nicht nachvollziehen kann, da das Buch eher mittelmäßig geschrieben sei. Ich habe gesagt, dass ich bessere kostenlose Geschichten kenne. Und ich habe des Öfteren patzig auf Fangirls reagiert, die das Buch in den Himmel gelobt haben.

Nichts davon muss ich völlig revidieren. Das sind die guten Nachrichten.
Aber trotzdem muss ich etwas richtig stellen. Und das ist der peinliche Teil.

Ich bin gerade dabei, das erste Buch zu lesen. Ich bin so ungefähr zu drei Vierteln durch und ich werde danach die anderen Bücher ebenfalls lesen. Ich gehe sogar noch weiter und sage: Ich würde sie kaufen, wenn ich sie nicht geliehen bekommen hätte.
Meine frühere Meinung basierte auf zwei Leseproben, einer Reihe von Meinungen aus der BDSM-Community zum sexuellen Teil des Buches und offenbar auch einem gewissen Neid, weil Frau James das geschafft hat, wovon wir Autoren alle träumen.
Meine Meinung war also völlig unqualifiziert und ich hätte mal besser die Fresse gehalten.

Das Buch ist gut.
Das ist die simple Wahrheit.

Es hat seine Schwächen. Aber es sind in meinen Augen nicht die Schwächen, die andere ihm vorwerfen. Und wenn ich nun - nach 75 % des Buches - so einige Kritiken Revue passieren lasse, wage ich ernsthaft zu bezweifeln, dass die betreffenden Kritiker das Buch wirklich gelesen haben. Ihre Kritikpunkte sind teilweise einfach inhaltlich falsch. So wie man es erlebt, wenn jemand nur eine Kurzzusammenfassung von einer anderen Person überflogen hat, die ihrerseits ein Buch nicht sehr genau gelesen hat.
Ich habe tatsächlich Geschichten gelesen, die dem Buch sehr ähneln. So sehr, dass ich mich frage, ob ich die Urversion dieses Buches bereits kenne. Was durchaus möglich wäre, denn wo ich mich herumtreibe und lese, könnte auch Frau James sehr leicht ihre ersten Gehversuche gemacht haben. Sie wäre nicht die Erste, die von dort aus einen erfolgreichen Sprung in die Veröffentlichung geschafft hätte.
Vielleicht habe ich aber auch nur sehr ähnliche Geschichten gelesen. Denn eines ist korrekt: Klischees sind in dem Buch so einige zu finden.

Ich persönlich bin zwar an BDSM - besonders an dem, was man Power-Exchange oder D/s-Dynamiken nennt - interessiert, aber ich habe so meine Probleme mit dem liebsten Klischee der BDSM-Literatur. Und das bedient Fifty Shades mit dem reichen, verkorksten Dom und der unerfahrenen Sub ziemlich offensichtlich. So sehr, dass ich an die Geschichte der O denken muss. Auch wenn es reichlich Unterschiede gibt. Dieses spezielle Klischee ist irgendwie omnipräsent.
Aber was über die Charaktere gesagt wird, ist ehrlich gesagt reichlicher Bullshit.
Die Protagonisten sind nicht unreif, sondern menschlich. Auf eine nicht ganz alltägliche Weise, aber weder sind sie infantil noch eindimensional. Und die Geschichte ist das auch nicht.

Ich verstehe, wieso diese Story besonders Frauen oberhalb der erweiterten Pubertät anspricht. Warum es zum Sinnbild für Mommy-Porn geworden ist - Erotik für reife Mütter.
(Man möge es mir verzeihen. Ich finde den Begriff ‚reif‘ reichlich überstrapaziert für Leute in meinem Alter, aber er passt einfach. Ab Anfang bis Mitte 30 ist man so langsam reif. Vorher eben nicht. ;-P )
Der Grund ist simpel: Die Märchenprinz-Thematik ist ebenso vorhanden, wie die Last des alltäglichen Lebens. Missverständnisse und Unsicherheiten und all die Unzulänglichkeiten des Lebens treffen auf das ultimative Märchen. Das Konzept hat Hollywood schon zu Tode ausgeweidet. Aber hier ist das zentrale Element nicht das Schwelgen im Luxus oder was auch immer sonst so sinnbildlich für die Veränderung steht, die der Märchenprinz bringt. Es ist der Sex. Und das ist in gewisser Weise erfreulich ehrlich.

Der Sex ist grafisch und wer ihn als unrealistisch empfindet, kann einem tatsächlich leidtun. Sicherlich ist es überspitzt, aber bislang ist mir noch nichts begegnet, was ich nicht irgendwie schon einmal erlebt hätte.
Nicht in einer einzigen Frau. Aber immerhin ist die Protagonistin ja auch die Prinzessin zum Prinzen. Also ist das schon okay.
Das Ganze hat auch seine Schattenseiten. So wie beispielsweise der neugewonnene Reichtum oder das plötzliche Ansehen in der Gesellschaft bei den Hollywood-Geschichten auch Schattenseiten hat. Macht dramaturgisch eben Sinn. Und passt irgendwie auch.
Wobei ich mit dem Blickwinkel von jemandem, der sich mit BDSM beschäftigt hat, auch durchaus andere Schlüsse aus einigen Aspekten ziehe, als der typische - und mit Verlaub uninformierte - Literaturkritiker (der wiederum mit Verlaub mal besser ebenfalls die Fresse gehalten hätte…)
Aber egal. Ich will jetzt keine Buchbesprechung durchführen. Mir geht es um ein Eingeständnis.

Ich habe etwas abgelehnt und schlechter gemacht, als es ist. Und zwar ohne wirklich zu wissen, wie es ist.
Ich habe behauptet, dass ich bessere Geschichten schreiben kann als Fifty Shades. Und ich habe kritisiert, dass ausgerechnet dieses Buch nun so extrem gelobt wird.
Ich habe Scheiße gelabert.

Jetzt kann ich sagen: Fuckyeah! Genau so ein Buch sollte so richtig abräumen.
Ich hätte es anders geschrieben. Meine Protagonisten würden völlig anders aussehen und ich hätte vermutlich nur mit viel Mühe so glaubwürdig und gleichzeitig eingängig die Gedankenwelt einer Frau wie Anastasia Steele schildern können. (Obwohl ich es in diesem Punkt auf einen Versuch ankommen lassen würde.)
Ich denke noch immer, dass ich ‚bessere‘ Geschichten schreiben kann. Für deutsche Leser, mit deren kulturellem Background ich einfach vertrauter bin. Nach gegenwärtigem Stand aber wohl nicht für den anglo-amerikanischen Markt. Und für den ist das Buch ja letztlich entstanden.

Verglichen mit den besten englischen Geschichten, die ich bislang gelesen habe, ist Fifty Shades erfrischend locker und spritzig im eigentlichen Textfluss. Die Gedankenwelt der Protagonistin ist einfach fesselnd und macht Spaß.
Wäre ich unvorbelastet bezüglich des Hauptklischees vom verkorksten, reichen Dom, könnte ich vielleicht sogar das genießen. Obwohl es zugegebenermaßen langsam ein klein wenig nervt, wie ein angeblich intelligenter Mann sich als völlig unanpassungsfähig erweist.
Aber auch das ist ein womöglich durchaus geplantes Element.

Was mich also stört, ist rein inhaltlich. Es ist nicht exakt mein Geschmack. Und es ist natürlich auch nicht das Nonplusultra in Sachen BDSM.
Aber NICHTS ist da das Nonplusultra. Bei BDSM geht es um individuelle Kinks und wie alle Beteiligten sie unter einen Hut bringen. Und dementsprechend ist die Konstellation im Buch so true wie alles andere.

Technisch ist das Buch… typisch anglo-amerikanisch. Es ist einfacher geschrieben und formuliert, als ein vergleichbares, deutsches Werk. Liegt an der Sprache.
Aber Einfachheit ist nicht gleichbedeutend mit fehlender Komplexität. Es ist eine Frage der Zielsetzung und des Stils. Also sind Kritiken über schlechte Schreibkunst auch nur dann haltbar, wenn man die elenden Kriterien für nobelpreisverdächtige Literatur anlegt.
Und das wäre bei derartiger Unterhaltungsliteratur einfach Blödsinn.

Um das hier jetzt nicht bis ins Unendliche auszudehnen:
Das Buch ist gut und ich war im Unrecht, als ich es schlecht machen wollte.
Ich kann nur jedem empfehlen, es zu lesen. Und sich dann weiter umzusehen, denn von dieser Qualität gibt es eine Menge Stoff im Netz zu finden. Auch ganz original in Deutsch geschrieben. Ich spreche gerne Empfehlungen aus und verrate Links.

Meine eigenen Geschichten würde ich gerne in diesem Zusammenhang empfehlen. Aber ehrlich gesagt hat E. L. James mir eines voraus: Sie hat Romane fertiggestellt. Und ich bin in keiner meiner Fortsetzungsgeschichten bislang am Ende angelangt.
Wenn ich dieses Stadium erreiche, werde ich mich selbst der Veröffentlichung zuwenden. Aber bis dahin übe ich noch und lerne. Unter anderem eben eine Geschichte zu Ende zu erzählen. (Und mich nicht auf dem Weg dahin völlig zu verzetteln. Kann ich nämlich gut.)

Betrachtet das Buch nicht als ultimativ. Das ist es nicht. Aber lehnt es auch nicht ab. Es ist nämlich unterhaltsam und durchaus auch heiß.
Und es ist ganz gewiss nicht schlechter, als mancher Schinken, der uns nicht wirklich zu Recht als große Literatur verkauft wird. ;-)

In diesem Sinne…
…gehe ich jetzt Sex haben. ;-P

6 Kommentare:

  1. Der Reiz von Fifty Shades ist doch nur der, dass es von einer Frau geschrieben wurde. Hätte es ein Mann geschrieben, wäre das Buch vermutlich einfach nur als billige Sexgeschichte verkauft worden.

    Das ist halt leider die Realität. Wenn eine Frau ihre feuchte Spalte in die Kamera hält, dann redet man über die Ausbeutung der Frau, oder eben nett über die sinnliche Erotik.

    Wenn ein Mann sein erregtes Glied in die Kamera hält, ist er ein Perversling. So einfach funktioniert das Geschäft. Leider.

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    1. Ich denke, du hast einen validen Punkt mit dem Frauen-Argument. Aber da ist noch mehr dran. Immerhin schreibt eine Frau in der Ego-Perspektive einer Frau. Und das, was sie da an innerem Monolog liefert, ist ziemlich greifbar. Ich halte Fifty Shades für eine ziemlich gelungene Metapher mit vielleicht ebenfalls 50 Bezugsmöglichkeiten.

      Was die Sache mit den... reduzierten Rechten auf Perversitäten für Männer angeht, habe ich eigentlich vor, noch zu Lebzeiten den Gegenbeweis anzutreten.
      Ich glaube nämlich, es fehlt den Männern im allgemeinen momentan an Cojones, den Schwanz einfach mal auszupacken und es drauf ankommen zu lassen.
      Und wenn du auf deine eigenen Fans schaust, dann müsstest du das auch sehen. Da sind nämlich auch so einige Frauen dabei, die auf die 'öffentliche Meinung' (die sowieso nie repräsentativ war) einfach scheißen. ;-D

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    2. Es gibt immer Leute die ihren eigenen Kopf haben. Da hast du schon recht. Aber die öffentliche Meinung ist da wesentlich simpler aufgebaut.

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  2. Ich habe das erste Buch auch angefangen zu lesen. Ich bin ziemlich neutral an die Sache rangegangen. War neugierig.

    Aber ich konnte einfach nicht weiterlesen. Zu seicht, zu klischeehaft. Jede Szene war vorhersehbar. Ich weiss nicht, ob es besser wird, aber wenn die Autorin es nach etwa einem Viertel nicht geschafft hat, mich zu fesseln, lese ich nicht weiter. Gleichzeitig gebe ich aber zu, dass ich mir durchaus vorstellen kann, dass andere sich von der Einfachheit des Buchs angesprochen fühlen, dass es sie fesselt.

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  3. ENDLICH!!
    Ich bin sehr erfreut darüber, dass endlich mal jemand zugibt, dass er, was das Buch angeht, scheisse gelabert hat. Hab das Scheisse labern zwar nicht mitbekommen, ist aber auch wurscht ;)
    Ich finde es übrigens witzig, dass wir so ziehmlich 100%ig die selbe Meinung darüber haben, worin das Buch echt gut ist und was einen stört. Klischees sind einfach dabei, ich finde das aber nicht so schlimm. Eher bringt es mich zum Schmunzeln. Wenn man mal um die ganzen Klischees herumliest, hat die beiden Hauptcharaktäre sogar recht Ähnlichkeit mit meinem Herrn und mir. Er fand die Bücher übrigens auch nicht sooo schlecht und wir mussten, weil wir parallel lasen und uns unsere Eindrücke darüber per Mail schilderten, viel lachen und schmunzeln und sagten so oft: huch..das ist ja wie bei uns.

    Ich hab übrigens, wenn du mit SoG durch bist noch eine weitere Empfehlung. Ähnelt dem SoG zwar ziehmlich von den Konstellationen her, aber da da mehr mit D/s vorkommt, find ich es sehr viel besser: Crossfire von Sylvia Day. Übrigens find ich die Sexszenen darin auch prickelnder als in SoG. Vielleicht gefällts ja.

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    1. Am schlimmsten finde ich, dass ich UNINFORMIERTE Scheiße gelabert habe. Leseproben und die Meinungen anderer reichen einfach nicht, um ein Urteil zu fällen. Obwohl ich so den Verdacht habe, dass viele Literaturkritiker auf nichts anderes zurückgreifen.

      Die Bücher sind jedenfalls absolut einen Blick wert, wenn man mitreden will. Oder man hält halt die Klappe...

      Deine Empfehlung sehe ich mir sicherlich irgendwann mal an. Danke dafür!

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