Freitag, 10. Mai 2013

Ranting about - Happy V-E-Day


Kürzlich war der 8. Mai. Der Tag, an dem sich die bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht jährte. Der Tag der Befreiung. Der Tag, an dem der Krieg für Deutschland offiziell endete. Der V-E - Victory in Europe - Day.
Das ist ein gutes Datum für einen Gedenktag. Denn wir können letztlich verdammt froh sein, dass dieser Konflikt ein Ende gefunden hat. Und auch, wenn es nervt, immer noch und immer wieder auf dem Thema herumzureiten, ist es ein Teil unserer Geschichte und an einem Tag wie diesem darf und soll man sich sogar ganz genau daran erinnern.

Ich bin Deutscher. Und dementsprechend konnte ich niemals auf einfache Weise meiner Erbsünde entkommen. (Ja, ich nenne das so.)
Mein Opa war in der Wehrmacht, mein Stief-Opa sogar in der Waffen-SS. Und zumindest von meinem Opa weiß ich, dass er sich für sein Land geschämt hat, nachdem er aus zehn Jahren russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, in denen er meiner Meinung nach genug gebüßt hat.
Tatsächlich glaube ich nicht einmal an Buße. Nur an Reue. Und die hat er empfunden. Das weiß ich genau.

Ich gedenke an diesem Tag also durchaus auch seiner. Und all der anderen Toten. Ohne dabei einen Unterschied zu machen, ob sie nun in einem KZ auf einem Schlachtfeld oder in den Trümmern eines zerbombten Hauses starben. Mir tut jeder Mensch leid, der bei diesem Konflikt ums Leben kam.
Sicherlich tun mir die Leute, die in den KZ steckten, noch einmal um ein Vielfaches mehr leid für die Qualen, die sie durchleiden mussten. Insbesondere diejenigen, die überlebten und mit diesen Traumata fertig werden mussten, haben mein volles Mitgefühl.

Aber - und an dieser Stelle muss ich das setzen - ich empfinde auch Mitleid für andere, die gelitten haben.
Ich bin etwa dreißig Jahre nach Ende dieses Krieges geboren worden. Und ich trage keine Verantwortung dafür. Ich kann nur auf das blicken, was ich von denen erzählt bekomme, die dabei waren. Und unter denen sehe ich nicht nur in den Augen ehemaliger KZ-Insassen niemals endenden Schrecken.

Ich will keine Leidenswege schmälern und niemandem von denen vors Schienbein treten, die damals gelitten haben. Aber ich muss jedes Mal, wenn es um den Krieg geht, an meine Oma denken. Die lebt nämlich noch und war mir ganz einfach die nächste Person in meiner Kindheit.
Heute weiß ich, wieso sie oft nachts aufgewacht ist. Warum sie gewisse Berührungen nicht ertragen konnte. Und weswegen sie immer irgendwann abbrechen musste, wenn über den Krieg gesprochen wurde.
Heute weiß ich, was einem Mädchen damals angetan wurde, als der Krieg schon fast vorbei war. Einem Mädchen, das noch nicht einmal in der Pubertät war. Von Fremden, die sie büßen und bluten und leiden ließen für die Sünden ihrer Väter.

Das alles muss ich meiner Meinung nach als Einleitung voranschicken, wenn ich mich dem zuwende, was neulich heute auf die Palme gebracht hat:
Leute, die voller Jubel und Fröhlichkeit den Sieg der Roten Armee über den Faschismus feiern.

Ich weiß, dass meine Oma nicht in diesen Jubel mit einstimmen kann. Ich denke, sie würde viel geben, um nicht von der Roten Armee befreit worden zu sein, denn auf der anderen Seite von Deutschland hätten ihre Chancen wesentlich besser gestanden, nicht zu erleben, was sie nun einmal erlebt hat.
Ich kann angesichts dieser Gedanken nicht nachvollziehen, wie heute Leute, die selbst nicht dabei gewesen sind, mit irrem Blick zelebrieren, wie die Rote Armee Rache genommen hat für das, was ihrem Land und ihren Leuten angetan wurde.

Für mich ist das in etwa das Gleiche, wie irgendwelche Feiern zu Ehren des Dritten Reiches. Es ist in meinen Augen unangemessen. Insbesondere bei der Roten Armee.
Ich will gar nicht über das reden, was man diesem militärischen Arm der Sowjetunion insgesamt so vorwerfen kann. Das passierte letztlich danach und gehört zu einem anderen Kapitel der Geschichte. Mir geht es nur um die Massenvergewaltigungen und Gräueltaten, die bei der Eroberung Deutschlands begangen wurden.

Natürlich… Die Deutschen als Volk haben ihrerseits sogar noch viel grausamere Dinge getan. Obwohl ich den Standpunkt vertrete, dass es nicht grausam, grausamer und am grausamsten gibt. Wenn etwas grausam ist, dann ist es jenseits der Grenze dessen, was Menschen anderen Menschen antun sollten. Und alles, was davon betroffen ist, steht an der Spitze der schrecklichen Dinge gemeinsam auf Platz eins.
Selbst ein einziger Foltermord an einem KZ-Insassen durch ein Regime wäre schon genug, um diesem Regime die Macht zu entziehen. Jeder weitere Mord und jede weitere Folter bestätigt das nur.

Aber davon mal ab war es nicht einfach das gesamte Volk, das diese Taten begangen hat.
Meine Oma war keine zwölf Jahre alt, als der Krieg in Europa endete. Sie hat sich nicht einmal eine Schuld durch Unterlassung aufgeladen, denn sie hat gar nicht verstanden, was mit den Menschen geschah, die verschwanden. Sie war ein Kind.
Und sie war auch noch immer ein Kind, als sie vergewaltigt wurde. Von wie vielen Soldaten weiß ich nicht und ich werde sie auch nicht fragen. Aber ein einziger reicht ja auch schon, nicht wahr?!

Für mich ist damit der Befreier und Bezwinger des Nazi-Regimes letztlich um keinen Deut besser als die Menschen, die im Namen dieses Regimes gemordet und gefoltert haben.
Rache ist keine Rechtfertigung für diese Art von Tat. Rache ist ohnehin keine gute Rechtfertigung. Und wenn, dann hat sie sich gegen den ursprünglichen Täter zu richten und nicht gegen dessen Kinder oder irgendwelche Leute, die dessen Nationalität teilen.

So wie mir vor Wut, Trauer und Mitgefühl die Tränen kommen, wenn ich an die KZ-Opfer denke, so kommen mir die Tränen, wenn ich an meine Oma denke. Ich sehe keinen Unterschied zwischen einem misshandelten Kind in einem der Vernichtungslager und diesem elfjährigen Mädchen, das von einigen Soldaten benutzt wurde, um Rache zu üben.
Beide haben mehr gelitten, als es ein Mensch verdient. Und das ist nicht richtig. Das ist kein Grund zu feiern.

Aber das wirklich schreckliche an dieser ganzen Sache ist, dass all das Gerede über die Lektionen, die wir als Deutsche daraus gefälligst lernen sollen, leer ist.
Der Hass und die pauschalisierte Feindschaft gegenüber Andersdenkenden, die im Dritten Reich den Grundstein für die KZs bildeten, sind nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart.
Was damals der Nazi oder der Jude war ist heute beispielsweise der Moslem.

Nicht in jedermanns Augen. Klar. Aber das war auch damals nicht der Fall. Auch damals gab es Menschen, die auf das Individuum geschaut haben. Und es gab auf der anderen Seite die, die sich gegen das Fremde einspannen ließen, ohne weiter nachzudenken.
Heute werden wir vielleicht keinen Vernichtungskrieg gegen den Islam beginnen. Aber ausschließen würde ich das nicht. Befürworter dafür gibt es. Und die Lektionen aus dem Zweiten Weltkrieg sind bei diesen Leuten ebenfalls mal angekommen. Und ungehört verhallt.

Wenn man also den einen, winzigen Sinn im Leid all der Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs finden konnte, das wenigstens kommende Generationen aus dem Schrecken eine Lehre ziehen, dann sind all diese Menschen gleich noch einmal vollkommen sinnlos gestorben.
Die Angst vor und der Hass auf das Fremde sind stärker. Jede Lektion verblasst demgegenüber. Zumindest bei einigen Menschen, von denen wiederum manche die Macht in der Hand halten.
Und andere Menschen hätten wiederum niemals diese schreckliche Lektion gebraucht, weil sie von ganz allein wissen, was falsch und was richtig ist.

Für mich ist dieser Tag - dieser 8. Mai - also ein Trauertag. Es gibt nichts zu feiern, denn es interessiert kein Schwein mehr, was vor Jahrzehnten geschah. Nicht, wenn aktuelle Interessen bedroht sind. Nicht, wenn es um Geld oder Macht geht.
Pyrrhus sagte einmal: „Noch so ein Sieg und wir verlieren den Krieg.“
So ähnlich würde ich es auch formulieren: Mit jedem solchen Sieg (wie am 8. Mai 1945 über ‚das Böse‘) kommen wir dem Sieg über die Fehler der Menschheit… keinen Schritt näher.

Und deswegen gibt es da auch nichts zu feiern.

In diesem Sinne…
…nachträglich ‘happy‘ V-E-Day.

1 Kommentar:

  1. Es ist ein Gedenktag. Der bis jetzt letzte Weltkrieg ging zu Ende. In sofern kann man ihn schon irgendwie beachten. Für die Russen war es ein ganz entscheidendes Erlebnis. Sie hatten zum ersten Mal seit langen wieder gegen einen bedeutenden Gegner gesiegt. Der letzte Sieg dieser Größenordnung war gegen Napolion fast 150 Jahre zuvor. Alle anderen Konflikte, wie der Krimkrieg, der Krieg gegen Japan 1905, der erste Weltkrieg oder auch der Krieg gegen Polen gingen verloren.

    Ich denke aus dieser Sicht muss man die Feier der Russen zu diesem Ereignis sehen.

    Dass das Verhalten der damaligen Siegermächte nicht wirklich unseren heutigen Vorstellungen von heldenhaften Befreiern entspricht, ist unbestreitbar. Aber mal ehrlich. Das waren ganz andere Zeiten. Ich denke mit dem heutigen humanistischen Denkansatz kann man diese Zeitepoche und das Verhalten der Akteure in dieser Zeit kaum begreifen. Das, was uns aus dieser Zeit evolutioniert hat, waren die technischen Errungenschaften. Anti Baby Pille, Kommunikationsmittel und Wohlstand haben uns dazu gebracht, dass wir nun vermutlich so schnell keinen großen Krieg mehr anfangen werden. Kein wohlhabendes Land würde im Moment einen Krieg gegen einen Gegner führen, der auch nur begrenzte Gegenschlagkapazitäten hätte. In Ländern, in denen die meisten Menschen nur noch 1,x Kinder haben, ist doch niemand bereit, ein Kind für einen Acker zu Opfern.
    Eine Gefahr besteht in meinen Augen vorallem durch Drohnen und Roboterkriege in den nächsten 50 Jahren.

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