Mittwoch, 10. Juli 2013

Dafuq des Tages - Draw my fucking life?


Sorry für eine Weile ohne Neuigkeiten. Ich war einfach zu abgelenkt, um etwas zustande zu bringen. Was mich allerdings nicht davon abhält, all die kleinen Dinge weiter anzusammeln, die mir meine Dafuq-Momente bescheren…

Ich bin nun mittlerweile schon seit ungefähr zwei Jahren aktiver Zuschauer auf YouTube. Davor hab ich das Portal vielleicht einmal im Monat aufgesucht, heute eher einmal am Tag oder mehr.
Irgendwie wundert es mich, dass mir so lange entgehen konnte, was für tolle, aufregende und interessante Beiträge es da gibt. Aber irgendwie auch nicht, denn wer es als YouTuber in die Massenmedien anderswo schafft, ist in 101% der bisherigen Fälle völlig uninteressant für mich. Die Authentizität, die ich bei einigen YouTubern so schätze, ist dann ein für alle Mal Geschichte und das Big Business übernimmt.
Was ich den jeweiligen Leuten gerne gönne. Aber dann halt ohne mich als Zuschauer, denn gescriptete Scheiße sehe ich sogar auf den Pay-TV-Sendern noch genug. Obwohl ich die ÖR’s und das Free-TV schon beharrlich ignoriere…

Ich hatte und habe viel Spaß auf YouTube. Ich freue mich beispielsweise auf jedes Video von Laina aus den Staaten. Das ist das Mädel, das als ‚Overly attached Girlfriend‘ für ihr irres Starren berühmt wurde. Und dieses Starren hat sie noch immer drauf. Und sie kombiniert es mit einem ziemlich coolen Sinn für Selbstironie.
Ein Beispiel unter Dutzenden. Und ich zweifle nicht daran, dass neue kommen werden, die mich begeistern, während alte in der Versenkung verschwinden oder erfolgreich und austauschbar werden.
Aber neben den YouTubern selbst gibt es auf der Plattform noch etwas anderes bemerkenswertes. Erst mal wertneutral formuliert…

Die Rede ist von Hypes.
Jeder kennt den Gangnam Style Hype. Und ich fand das so witzig (und einige der Parodien darauf so gut), dass ich noch immer nicht die Schnauze voll davon habe. Zumal der Psy ein sympathisches Kerlchen ist.
Noch besser hat mir allerdings der ‚Call me maybe‘ Hype gefallen. Niedliche, schöne Geschichte, süßes, fröhliches Lied und sehr geile Parodien darauf. Auch davon kann ich - ebenso wie vom Original - kaum genug kriegen.
Der sogenannte Harlem Shake war dann eher etwas zum gelegentlichen Schmunzeln. Etwas zu albern für meinen Geschmack, wenns nicht gerade sehr gut gemacht ist. Aber immer noch erträglich…

Was mir allerdings tierisch auf die Nüsse geht, ist der neueste Trend: Draw my life.
Ich meine… Der neue Trend auf einer Plattform, wo jeder die Möglichkeit hat, sich durch bewegte Bilder auszudrücken und frei oder wohl überlegt vor der Kamera seine Meinung zu sagen, ist Geschmiere auf einem Whiteboard?
Ernsthaft??? Dafuq!?!

Ich will gar nicht sagen, dass mich die individuellen Lebensgeschichten nicht interessieren. Zugegebenermaßen hat es bei vielen letztlich was von der Biografie von Daniel Küblböck. Geschrieben mit irgendwas unter 20 und berichtend von einem Leben voller Mühsal und Qualen, die den betreffenden Menschen zu dem machten, was er oder sie…
Blablabla… FUCK that!
Die meisten Twens haben ihr ganzes verficktes Leben noch vor sich. Wenn meine Oma von ihrem Leben erzählt, steckt da was hinter, aber wie viel Mühsal und Schrecken hat denn der durchschnittliche europäische Teenager so erlebt?
Vor allem der, der damit auch bereit ist, an die Öffentlichkeit zu treten.

Ohne jetzt Dinge wie Mobbing verharmlosen zu wollen, packe ich mir an den Kopf, wenn in praktisch jedem dieser grafisch mehr an die 70er als an das neue Jahrtausend erinnernden Videos fast unweigerlich der Moment kommt, wo die Musik sich verändert.
Ich muss dann an den Film American Dreamz denken, wo unter anderem die Sache mit dem White Trash so schön auf die Schippe genommen wurde. Herzschmerz für die Tränendrüse. Und wenn keiner da ist, wurde das arme Tüddi eben im Kindergarten ausgegrenzt oder hatte in der Pubertät eine Phase, wo Selbstmordgedanken eine Rolle spielten.
Was mich den verzweifelten Wunsch verspüren lässt, darauf hinzuweisen, dass wir verfickt noch mal ALLE in der Pubertät mal zutiefst verzweifelt waren. Das ist die Zeit der ersten Liebe und wenn da was endet, ist das ein Weltuntergang. Das ist fucking NORMAL. Und es geht fucking vorüber…!

Okay… Ruhig Brauner…
Nicht jeder, der von seinem Leben erzählt, ist ein Lutscher, der glaubt, die eigenen Erfahrungen wären schrecklicher als beispielsweise zwanzig zu werden und nicht einmal im Leben satt gewesen zu sein, wie es manchem Kind aus Afrika ergeht.
Es gibt da Leute, die was zu erzählen haben. Von Homosexualität und Coming-outs beispielsweise. Und davon, wie sie und vielleicht auch andere damit zurechtkommen können, den Erwartungshaltungen der Welt entsprechen zu wollen, aber nicht zu können.

Aber… Was zum Henker habe ich davon, wenn die mir das mit Strichmännchen aufzeichnen, dafuq???
Ich will Leuten, die etwas Gehaltvolles zu erzählen haben, in die Fresse gucken. Dann sehe ich nämlich auch, ob die sich wichtig machen. Ob sie lügen oder sich was zusammendichten.
Oder ich werde gekonnt belogen, wenn ich es nicht merke. Was eine Kunst für sich darstellt und von mir honoriert wird. Wenn ich erfolgreich ins Gesicht gelogen bekomme, werde ich selbst dann noch beeindruckt sein, wenn die Lüge irgendwie auffliegt.

Stichmännchen hingegen…
Die sagen GAR NICHTS aus. Und außerdem sind sie nicht sehr gut geeignet, wirklich gehaltvolle Themen zu visualisieren.
Überhaupt ist Visualisierung das Einzige, was mir bei diesen dämlichen, beschleunigten Zeichnungen auf Whiteboards einfällt. Und wenn die Leute von heute das brauchen, dann wundert es mich nicht, dass keiner mehr liest. Dafür braucht man nämlich ebenso Fantasie, wie für das Einfühlen in Situationen, die anderen zugestoßen sind.

Whiteboards und ‚Draw fucking something‘ sind toll, wenn es darum geht, Vorschülern Dinge begreiflich zu machen. Aber sie sind schon bedenklich, wenn sie als Schulungsmittel für Erwachsene benötigt werden, weil die zu dämlich sind, grundlegende Sachverhalte anders zu begreifen.
Wenn es jetzt Einzug hält, dass jeder seine Geschichten und Erzählungen auf diese Weise bildlich macht, werde ich mich vielleicht doch erschießen. Einfach, weil ich die Welt dann nur noch ertragen kann, indem ich sie entweder von den Menschen oder die von mir befreie…

Jaja… Ich dramatisiere. Und?
Mir gehen diese Zeichnungen wirklich auf den Zeiger, weil sie überflüssig sind. Wenn diese Leute toll zeichnen könnten und es irgendwie Kunst wäre… Aber meistens ist es einfach nur Geschmiere und verdeutlich das, was sie erzählen.
Aber dabei geht eben der Blick ins Gesicht verloren. Und deswegen kann mich keine ‚Draw my life‘ Story zu Tränen rühren. Oder auch nur überhaupt irgendwie anrühren. Im Gegensatz zu Leuten, die sich vor eine Kamera setzen und mir ins verfickte Gesicht sehen, während sie erzählen.
Auch da kann man zwar schneiden oder es neu versuchen, wenn man es versemmelt, aber es bleibt eine gewisse Unmittelbarkeit. Es bleibt eine Verbindung zum Erzähler und man sieht, wenns ans Eingemachte geht. Oder eben auch, ob da mehr heiße Luft produziert wird.

Und am Allerwichtigsten: Wenn es dann ans Ende geht und die ganze Friede-Freude-Eierkuchen-Scheiße kommt… Von wegen, wie dankbar man doch allen Leuten sei und wie man mit den eigenen Videos anderen helfen wolle, weil man selbst mal Hilfe brauchte…
Wenn dieser Mist kommt, dann sieht man es von Angesicht zu virtuellem Angesicht eben auch. Dann sieht man, ob die Person nur labert oder ob auch was dahinter steckt. Ob da wirklich Dankbarkeit ist. Ob da wirklich auch der Wunsch zu helfen vorhanden ist.

Nicht missverstehen: Ich verlange von keinem, solche Wünsche zu verspüren. Aber wer das Maul aufreißt und die Behauptungen aufstellt, der soll mir - dafuq - auch dabei ins Auge sehen. Oder eben die Fresse halten und nicht rumlügen.
Für mich ist ziemlich offensichtlich, dass all die Leute, die erst jetzt anfangen von ihrem Leben zu erzählen, wo sie nicht direkt dabei gefilmt werden, vorher gute Gründe hatten, nichts zu erzählen.
Einige mögen den direkten Blick ins Gesicht scheuen, weil die Erinnerungen sie wirklich belasten und sie nicht vor der Kamera heulen wollen. Aber andere wissen ganz genau, wie wenig traumatisch ihre ach so traumatischen Erlebnisse wirklich sind. Aber hingeschmiert wirkt das gleich viel heftiger.

Wer also was zu sagen hat - und das zeigt sich auch immer wieder an Beispielen von bestimmten YouTubern - der sagt es auch. Offen und direkt - und manchmal nicht im perfekten Format oder sogar unter Tränen und deswegen eben auch wirklich authentisch - in die Kamera.
Und nicht auf dem Whiteboard mit Filzstiften, dafuq!

Abschließend will ich noch sagen, dass ich durchaus gerne mehr von Leuten erfahre, die mich gut unterhalten. Selbst einem 15jährigen höre ich durchaus zu, wenn der von seinen Traumata berichtet. Selbst wenn es Dinge sind, die jeder erlebt hat, sind sie doch für diesen Menschen jetzt gerade welterschütternd.
Ich höre zu, lächele in mich hinein und - wenn es eine reale Situation ist - zeige Mitgefühl. Und ich verpacke das ‚in zehn Jahren lachst du darüber‘ so schonend wie möglich, wenn ich es überhaupt anbringe.
Aber Wichtigtuerei nervt mich tierisch. Und auf einen fahrenden Zug aufzuspringen, weil alle das machen, ist ziemlich wichtigtuerisch. Es sei denn, es wäre eine der seltenen Versionen, in denen jemand offen zugibt, einfach nichts ausreichend Dramatisches erlebt zu haben, um jetzt einen Mega-Film davon zu machen.

Oder aber…
Vielleicht - nur vielleicht - sollte ich auch mal ein ‚Draw my life‘ machen.
Nur… Wie zeichnet man kindgerecht, wie man dabei war, als jemand angeschossen wurde? Oder wie man für Geld eine Prostituierte geheiratet hat? Oder wie man live sehen musste, was Elend und Hunger in der Dritten Welt wirklich bedeuten. Angeschnitten, ungekürzt und nicht für den sensiblen Europäer aufbereitet. Inklusive des Gestanks nach Eiter, Scheiße und Tod, der da vorherrscht, wo es Menschen WIRKLICH dreckig geht…?

Ich denke, ich lasse das lieber.
Schließlich will ja niemand Wahrheiten erfahren. Schöne Tränendrüsengeschichten zum bald wieder vergessen und eine Runde Mitleid haben sind da wohl die Schmerzgrenze…

In diesem Sinne…
…gehe ich jetzt mein Leben nicht zeichnen, sondern leben! ;-P

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