Eines vorweg: In den nächsten Posts von mir kann es um
den Tod und das Sterben gehen, wie es uns allen blüht. Nicht abstrahiert, wie
es in den Nachrichten passiert, sondern nah, weil es um Familienangehörige und
dergleichen geht.
Und wie ich in den letzten Wochen erneut bestätigt
bekommen habe, geht jeder Mensch mit dem näher rückenden Tod anders um. Wenn du
also zu den Leuten gehörst, die sich damit nicht gern beschäftigen und das
Thema von sich schieben, dann schieb das Weiterlesen bitte auch von dir.
Und das meine ich weder vorwurfsvoll, noch ironisch,
sarkastisch oder zynisch. Ich urteile nicht darüber, wie Leute sich mit dem Tod
auseinandersetzen. Ich spreche nur für mich und nicht für andere. Und ich habe
auch allerhöchstens für diejenigen neue Perspektiven anzubieten, die eben
wirklich bereit sind, sich damit zu konfrontieren.
Zur Sache:
Jemand in meinem Umfeld ist gestorben. Und zwar nicht überraschend,
sondern zumindest seit Anfang Januar absehbar. Da kam es nämlich zu einer
erneuten Hirnblutung bei der Mutter einer Person, die mir sehr, sehr wichtig
ist. Und dieses Mal war dann klar, dass nicht - wie bei den Malen in den drei
Monaten davor - noch Hoffnung besteht.
Bei dieser erneuten Blutung stand von Anfang an im Raum,
dass der Tod nun zu einer Wahrscheinlichkeit wird, die sich zur Gewissheit
entwickelt. Keine Eventualität mehr. Und auch kein Risiko, wegen der
Operationen. Es wurde klar, dass es wieder passieren würde und dass es zu Ende
geht.
Den Zwischenfall an sich überstand die Frau dank einer
Notoperation. Und aus dem künstlichen Koma erwachte sie - falls man von
Wachsein da noch sprechen konnte. Ansprechbar oder zur Kommunikation fähig war
sie nämlich nicht. Und wie gravierend die Schädigungen des Hirns nun
letztendlich waren, wird man niemals mehr erfahren.
Wäre aktive Sterbehilfe in Deutschland erlaubt, wäre sie
eine Kandidatin gewesen. Das nächste Aneurysma stand ihr im Grunde schon bevor.
Auch wenn niemand mit Bestimmtheit sagen konnte, wann es passieren würde, war
schlussendlich klar, dass mit den Adern in ihrem Kopf etwas nicht mehr stimmte.
Nachdem die Behandlung im Krankenhaus soweit abgeschlossen
war, fiel deswegen die Entscheidung, sie in ein Hospiz zu verlegen. Das ist ein
privat- und/oder spendenfinanziertes Pflegeheim, wo Leute zum würdevollen Sterben
hingehen. Und dieser Ort ist der Anlass dafür, dass ich diesen Post den
Regenbogenmomenten zuordne.
Es mag grausam klingen, jemanden an einen Ort zu bringen,
wo er oder sie sterben soll. Es mag Leute geben, die immer der Meinung sind,
Leben sollte erhalten werden. Koste es, was es wolle. Aber diese Leute sollen
erst einmal eine solche Situation erleben und dann reden wir weiter.
Der Tod war eine Gewissheit und keine Möglichkeit mehr.
Nur der Zeitpunkt stand noch nicht fest. Der Standpunkt der Patientin zur Sache
war klar. Sie hatte sich vor ihrer ersten Hirnblutung und auch danach, als sie
zunächst auf dem Wege der Besserung zu sein schien, absolut deutlich dazu
geäußert und auch eine Patientenverfügung lag vor.
Es war keine willkürliche Entscheidung irgendwelcher
Angehöriger oder Ärzte. Aber selbst wenn es das gewesen wäre, wäre es ein Akt
der Gnade gewesen.
Ich selbst hatte in dieser ganzen Geschichte nicht die
Rolle eines trauernden Angehörigen, sondern eines tröstenden Freundes und
Partners. Und deswegen sind mir die Begleitumstände besonders deutlich
aufgefallen, zumal ich mit dem Tod nicht auf Kriegsfuß stehe und mein Mitgefühl
sehr spezifisch auf Personen und unmittelbare Situationen geeicht ist.
Das soll heißen, dass ich jederzeit jemanden stützen kann,
der gerade zusammenbricht, wenn mir diese Person nahe ist. Und ich fühle dann
auch ihren oder seinen Schmerz. Aber der Umstand, dass da jemand im Sterben
liegt, stürzt mich nicht an und für sich in Verzweiflung.
Durch diese Rolle als Begleiter der allernächsten
Angehörigen war ich aber vor Ort und konnte alles live und in Farbe miterleben.
Und ich durfte einen Ort kennenlernen, wie ich noch nie einen gesehen habe.
Einen Ort, der mich zutiefst beeindruckt hat und vor dessen Mitarbeitern ich
nicht einfach den Hut ziehe, sondern mit tief verneige und den Kniefall mache,
weil sie tausend Mal besser Menschen sind, als ich es je sein könnte.
Es fällt mir schwer, diesen Ort mit einfachen Worten zu
charakterisieren, weil er einfach so weit jenseits der üblichen Bezugsrahmen
liegt. Er ist idyllisch, harmonisch, pietätvoll, warm, freundlich und schön.
Aber das trifft es einfach nicht wirklich. Es wird ihm nicht gerecht.
Stell dir vor, du gehst an einen Ort, wo ein Mensch
liegt, der dir so nahe steht wie eine… sagen wir eine vertraute Tante. Und du
weißt bereits, dass sie halbseitig gelähmt ist, kaum ein verständliches Wort
herausbringt und vermutlich sowieso niemanden mehr erkennt.
Aber sie liegt nicht in einem Krankenhausbett. Sie ist
nicht festgeschnallt, weil sie mit dem einen, noch beweglichen Arm Infusionen
oder die künstliche Ernährung ziehen könnte, denn von diesen Dingen ist sie
frei. Und sie liegt in einem Zimmer, das mehr einem liebevoll eingerichteten
Hotelzimmer oder noch eher einem Raum in einer kleinen, familiären Pension
gleicht.
Sie liegt da und irgendwer kümmert sich darum, dass der
CD-Player jederzeit neu bestückt wird, damit sie sanfte Musik hört und die
Kerzen niemals verlöschen. Du kannst dort nachts um drei Uhr ankommen und es
wird so sein. Du kannst dich darauf verlassen, auch wenn es in der Nacht nur
eine Aufsichtsperson gibt.
Du kommst in dieses Gebäude und egal zu welcher Zeit
werden sich alle Mitarbeiter dort - die teilweise ehrenamtlich diesen
unfassbaren Job machen - mit einem liebevollen Lächeln begrüßen. Kein nettes Grinsen
oder unangemessenes Lachen, sondern ein mitfühlendes Lächeln, das dir Mitgefühl
auf unaufdringliche Weise signalisiert.
Wenn du dich sichtlich schwertust, sind sie bei dir und
gehen mit dir. Reden sanft mit dir und begleiten dich auch gegebenenfalls zu
der Person, die du besuchst. Und wenn du eine Pause brauchst und im
Aufenthaltsraum Ablenkung suchst, ist da jemand, der ganz normale Gespräche mit
dir führt und eventuell sogar mit dir scherzt, ohne dabei jemals die Grenzen
der Schicklichkeit zu überschreiten.
An diesem Ort war es IMMER leise. Niemand hat jemals die
Stimme gehoben. Keine harschen Worte sind gefallen. Auch nicht unter den
Mitarbeitern und selbst dann nicht, wenn mal etwas nicht ganz rund lief.
Es war so harmonisch, dass ein herunterfallender
Gegenstand wie ein startender Düsenjäger auffiel. Dass man eine Nadel hätte
fallen hören können, selbst wenn mehrere Leute anwesend waren.
Ich kann kaum zum Ausdruck bringen, wie unglaublich
beeindruckt ich von Menschen bin, die FREIWILLIG andere Leute beim Sterben
begleiten. Die tagtäglich dem Verfall zusehen und neben der notwendigen Pflege
für kranke Menschen auch noch Aufmerksamkeit geben. Sich um die oft alten Leute
kümmern, mit ihnen reden und ihnen auf eine Weise begegnen, die selbst den
wirklich schlimm erkrankten die Würde lässt.
Binnen acht Tagen starben dort acht oder neun Leute. Und
man bekam davon kaum etwas mit, wenn man nicht selbst betroffen war. Aber die
Mitarbeiter waren demnach im Grunde täglich mit dem Tod konfrontiert. Und sie
haben trotzdem ihren Job auf eine Art gemacht, die sich in keinem
Arbeitszeugnis auch nur ansatzweise würdigen ließe.
In meinen Augen nehmen diese Menschen für die Betroffenen
wie für die Angehörigen dem unvermeidlichen Tod den Schrecken. Dank ihnen ist
dieses Hospiz ein guter Ort zum Sterben. Und ich verzweifle fast daran, diesen
Menschen meinen Dank nicht angemessen aussprechen zu können.
Ich will damit auch nicht die Arbeit der Pfleger und
Pflegerinnen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen herabwürdigen. Dort
finden sich ebenfalls aufopferungsvolle Menschen. Aber sie arbeiten in einem
System, das innerhalb unserer Gesellschaft integriert ist.
In diesem Hospiz standen jedoch Effizienz und
Wirtschaftlichkeit NICHT an erster Stelle. Dort DURFTEN die Mitarbeiter sich
Zeit für ihre Gäste - ein eindeutiges Statement bei der Benennung der Patienten
- nehmen. Keine Stoppuhr lief, wenn sie für die Körperpflege sorgten und es gab
auch kein Drängen in irgendeiner Form, weil eines der zehn Betten so ‚lange‘
belegt war.
Für mich steht dieser Ort einfach jenseits der normalen
Bewertungsskala. Eine Zwanzig auf der Skala von Eins bis Zehn. Und ich bin
wirklich dankbar, dass ich das erleben durfte, auch wenn der Anlass natürlich
durchaus ein anderer hätte sein dürfen.
Und deswegen waren die Besuche dieses Hospizes Regenbogenmomente.
Umso mehr wegen des traurigen Anlasses. Und umso erstaunlicher, weil ich eine
doch sehr kühle Einstellung dem Sterben gegenüber habe.
Ich werde kaum jemals vergessen, dass eine Stunde und
zwanzig Minuten nach Eintreten des Todes das Zimmer und die Verstorbene
hergerichtet waren, obwohl es mitten in der Nacht passierte und eine Person
sich darum allein und neben ihren Aufgaben kümmern musste.
Und wenn man davon sprechen kann, einen Raum mit einer
Toten zu betreten und eine POSITIVE Schwingung zu fühlen, dann in diesem Fall.
Nur ich selbst kann ermessen, wie erstaunlich es ist, dass mich das so
nachhaltig bewegt hat, wo ich doch tote Körper als totes Fleisch betrachte. Und
deswegen sage ich, dass es eben wirklich außergewöhnlich war.
Ich bin nicht zufrieden damit, wie wenig all diese Worte
die Aura dieses einzigartigen Ortes transportieren. Und ich wünschte, ich könnte
mich noch mehr darüber auslassen und meinen Bezugsrahmen vermitteln.
Ich bin einfach nicht der Typ Mensch, der sich von Orten
leicht einfangen lässt. Ich spüre nicht die Last des Leidens bei einem Besuch
der Gedenkstätte Auschwitz, sondern vollziehe lediglich verstandesmäßig nach,
was dieser Ort bedeutet. Und ich spüre auch nicht mehr als eine gewisse
architektonische Ehrfurcht in alten Kirchengebäuden.
Aber dieses Hospiz - oder vielmehr die Menschen, die den
Ort zu dem machen, was er ist - haben mich fühlen lassen, wo ich mich befand.
Auf eine nachhaltig positive Weise.
Ein wirklich guter Ort zum Sterben.
In diesem Sinne…
…jeder kann mithelfen, indem er so einem Hospiz anbietet,
was immer der Einzelne zu leisten imstande ist. Ob nun Hilfe im Garten oder auch
einfach nur ein paar Besuche für einen der Gäste, damit diese Leute
Gesellschaft genießen können.
Ruhig mal drüber nachdenken…
Hallo Mike, aufgrund deiner Ausführungen geht mir eine Menge durch den Kopf. Wie du selber schreibst, gibt es kaum passende Worte für die Leistung, die in solch einem Hospiz an den Gästen gezeigt wird. Jetzt verstehe ich auch den Namen "Regenbogenland" Das erstellen von "Regenbögen", wie wir diese doch seit unserer Kindheit immer schon faszinierend und wunderschön fanden. Und es ist wahr, dass sowas nicht wirklich gerechtfertigt entlohnt werden kann. Habe auch selber mitbekommen, dass die Angehörigen sich weniger im Stich gelassen fühlen, wenn ihre Lieben friedlich "einschlafen" durften. Mein Beileid trotzdem an die mir unbekannten Angehörigen. Maid Marion
AntwortenLöschenDanke, Marion. Ich richte es aus und du kannst sicher sein, dass es in deinem Sinn verstanden wird.
LöschenAnsonsten sind wir einer Meinung. Es ist erstaunlich, dass es in unserer doch eher kalten Welt noch solche Orte gibt. Ein Glück für Angehörige wie Betroffene. Und eine Sache, die irgendwie ein wenig dringend benötigte Wärme in die Welt bringt.
Lieber Mike, ich habe deine Ausführungen gelesen und mir wurde warm ums Herz, so dass sich in mir der Gedanke fest gesetzt hat, dass wenn es bei mir durch meine Krankheit soweit ist dass ich in so ein Hospiz möchte einfach um in Ruhe den Weg über die Brücke zu gehen... Durch meine Chemo haben sich sowieso einige Sichtweisen geändert und man verändert auch sein Blickfeld. Jeder Tag ist so schön dass man ihn leben sollte und da noch gutes tuen kann. Ich selbst besuche eine Onkologie und helfen da mit Rat und Tat oder auch nur mit einem Kaffee für die Angehörigen, wenn es mehr solcher Menschen geben würde! Meine aufrichtiges Beileid
AntwortenLöschenSilke
Danke für dein Beileid, Silke.
LöschenDir möchte ich Kraft wünschen. Und den Mut, den Weg zu gehen, der für dich der beste ist. Ich weiß, dass man normalerweise irgendeine Variation von 'Kopf hoch' bringt, wenn man deine Geschichte hört. Aber im Grunde scheint mir, dass du den Kopf nicht hängen lasen wirst und deswegen drücke ich dir lieber die Daumen, dass jeder Tag für dich ein lohnenswerter Tag sein wird. Egal, ob es noch Tausende oder weniger sind.
Ich bin froh, dass du Beistand hast. Und ich hoffe, dass du auch Freunde hast, die mit dir jeden Tag genießen wollen. Das ist wertvoll und manche Leute haben das ihr ganzes Leben nicht.
Aber trotzdem drücke ich dir natürlich die Daumen, dass du dem Krebs den Stinkefinger zeigst und ihn in die Wüste schickst, wie einen aufdringlichen Verehrer. ;-)
Zumindest, soweit es virtuell möglich ist, werde ich gerne versuchen, auch ein wenig mitzuhelfen, dass du gelegentlich was zu lachen hast, wenn ich darf.
Kudos für die Art, wie du mit der Last umgehst, die du zu tragen hast!
Und gute Besserung, wenn es irgendwie möglich ist!